Mittwoch, 28. September 2011

D-Day plus 18.53h: Winners all we are

English version still under construction, to be released soon...








Susanne hat es schon am Tag davor gewusst. Also Susanne 1, meine Susanne. Hat gewusst, dass das mit Schwarz nichts wird, als im Pre-Race Meeting am Freitag mitgeteilt wurde, der Schwimmstart müsse verlegt werden und die Radstrecke sei demnach 20km länger. Eine solche Erschütterung des Systems wäre sicherlich nicht ohne Folgen, fand sie. Nach den Katastrophen der Anreise mit Hexenschuss noch auf der Fähre, Krankenhaus nachts in Larvik, kaputtem Auto, 2 Tagen Zwangsaufenthalt in Notodden, beschädigtem Wohnwagen und vergessenen Lauf- und Radschuhen der Supporterstaffel beim Eidfjord Mini Triathlon. Und natürlich hatte sie recht.

Gesagt hat sie nichts, ich selber habe für die Erkenntnis 17 Stunden länger gebraucht. Bis etwa km 35 der nun 200km langen Radstrecke, im ersten Drittel der Steigung nach Dyranut. Bis dahin war ich noch vorschtig optimistisch gewesen. Beim Aufstehen, durch die geänderten Bedingungen eine Stunde früher als geplant. Auf der Fähre, auch als ich plötzlich der letzte noch an Deck war und nicht mehr ohne nachzudenken ins Wasser mitgeschoben wurde, sondern gezwungen, mich zum Sprung zu überwinden. Im Wasser, als sich das Schwimmen richtig gut anfühlte, aber die spärlich beleuchtete Wendeboje in weiter Ferne nicht mehr zu sehen war und die Orientierung sofort verloren ging. Wieder an Land, als ich feststellen musste, dass mein Forerunner nicht mehr funktionierte, aber immerhin noch mitteilen konnte, dass ich mit 1:56h etwa eine halbe Stunde langsamer war, als erwartet. In der Wechselzone, mit Uwes eifriger Hilfe mich von der einen in die andere Ausrüstung quälend. Sogar auf den zusätzlichen ersten 20 Kilometern nach Eidfjord fühlte ich mich trotz des strömenden Regens noch eingermaßen gut. Erst mitten in der Steigung, als diese schon am Beginn gar kein Ende nehmen wollte und mir unendlich schwer vorkam, dazu noch ein langsamerer Schwimmer nach dem anderen an mir vorbeizog, erst dann geriet ich in Panik und schrieb das schwarze Shirt gedanklich ab. Ein mentales Loch, noch bevor der Wettkampf richtig angefangen hatte, na toll. An dieser Stelle, auf der alten Touristenstraße nach Dyranut, kurz vor Vøringfossen, begann also der härteste Tag in meinem bisherigen Leben.


Etwa 15 km später taucht plötzlich die Dyranut Touristenhütte aus dem dichten Nebel auf, viel früher als erwartet. Als wir gestern noch bei Sonnenschein und großartigem Ausblick hier das legendäre Frühstücksbuffet genossen hatten, schien der Weg weiter. Es ist zum Regen noch kalt geworden, richtig kalt. Später erzählt man mir von 9°C. Dazu ist es windig, dabei ist es mir völlig egal, dass es sich erstmals um Rückenwind handelt. Kalt und nass ist es, Saukalt und nass. An Dyranut sind meine beiden Supportteams versammelt, um mir die unterwegs per Zuruf bestellten Kleidungsstücke anzureichen: Regenjacke, dicke Überschuhe, dickere Handschuhe, Halstuch. Dazu eine Radflasche mit Vitargo, mehr brauche ich noch nicht. Wie falsch diese Einschätzung war, wird mir erst sehr viel später bewusst, da ist das Rennen schon einen Tag vorbei.

Ab jetzt könnte das Radfahren richtig Spaß machen, hier beginnt richtiges Zeitfahren. Rolling Hills heißt so ein Profil auf Hawaii, hier ist es schlicht die Hardangervidda und eben gerade nicht steil. Wie gesagt, es könnte Spaß machen, das ist das, was ich im Training immer am besten konnte, Drücken eben, Zeitfahren, Baby! Könnte. Wenn der Regen und die Kälte nicht wären, irgendwann kann ich vor Zittern kaum noch den Lenker halten. Team 2 sieht aus, als würde es sich langsam Sorgen um meinen Zustand machen.
Team 2, das sind Susanne 1 (meine Susanne, von ihrem Hexenschuss wundersam genesen, Fahrzeug und Operation steuernd), Susanne 2 (Uwes Susanne, da bitte ich um Entschuldigung, aus dramaturgischen Gründen konnte ich mir diese Formulierung jetzt nicht verkneifen) und Marlene im Auto.
Team 1 besteht aus Uwe und Lukas auf dem Motorrad. Erstmal. Ohne die 5 hätte ich den Tag nicht überlebt, soviel soll hier schon einmal völlig unpathetisch vorweg genommen werden.


Noch einmal 60 km weiter, Renn-km 110. Geilo. Jetzt wird es richtig ernst, die „Major Climbs“. Mittlerweile scheint die Sonne und es wird richtig warm. Wetterkleidung wird Team 2 übergeben, Verpflegung aufgefüllt. Vor Erschöpfung nehme ich zu wenig zu mir, ich gebe dem Team auf, mich das nächste Mal zum Essen zu zwingen. Im Nachhinein betrachtet war das wohl einer der Hauptfehler, zu wenig streng auf die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme zu achten. Ich weiß natürlich schon lange, dass es dabei nicht um Hunger oder Durst sondern um stetige Versorgung geht. Trotzdem, auch im Kopf funktioniert man nicht immer gleich gut.

















Die Hügel werden, wie erwartet, zur Quälerei. Die Geschwindigkeitsanzeige zeigt schon lange eine 1 vorne. Allerdings merke ich dann doch den Rückenwind: Am dritten Berg, wo oben noch einmal 6 km mit 4% folgen und einem durchaus das Herz brechen können, bleibt die totale Verzweiflung aus. Auf den Downhills stelle ich dann neue Geschwindigkeitsrekorde auf. Ein bisschen Radbeherrschung habe ich ja nun doch gelernt… Kurz darauf muss ich feststellen, dass die Verzweiflung nicht im Geringsten vorgehabt hatte, auszubleiben, sondern nur, zu warten. Bis zum Immingfjell-Aufstieg. Hässliche 10km bei hässlicher Steigung. Ich weiß nicht, wieviel, irgendwo zwischen 7 und 10%. Das Tempo geht in den einstelligen Bereich. Ich gebe mich voll meinem Selbstmitleid hin. Oben wartet zwar tatsächlich immer noch kein Gegenwind, aber auch kein bekanntes Gesicht. Wo ist mein Support? Weiter vorne, nur ein paar Kilometer weiter. Man hatte lediglich darauf verzichtet, an jeder Ecke ein Bemitleidungskommitee abzusetzen.

Die Hochebene ist dann auch irgendwann geschafft, nach der letzten Nahrungsaufnahme versuche ich, die letzten 30km durchs Tessungdal nach T2 zu rauschen. Wird nur nichts draus. Was als endlose Abfahrt lockt, entpuppt sich schnell als brutale Schüttelei. Der Straßenbelag ist legendär schlecht und die letzten 20km kommen mir wie schon 2009 eher wie eine MTB-Strecke vor. Trotz ständiger Wachsamkeit passiert es doch immer wieder, dass eine im Nachmittagslicht nicht rechtzeitig erkennbare Bodenwelle oder ein Schlagloch mir fast den Lenker aus der Hand schlägt. Ich mache mir schon lange ernsthafte Sorgen um meine Carbongabel. Natürlich zu unrecht, aber das spielt in dem Moment ja keine Rolle.

Endlich. Endlich biege ich auf die Wiese an unserem Campingplatz ein, die zweite Wechselzone, T2. Der Tacho zeigt irgendwas um 9 Stunden, das wäre trotz der Streckenverlängerung genauso schnell wie 2009, in der Bilanz also schneller. Naja, wenigstenstens etwas. Später fällt mir ein, dass ja die Pausen nur auf der Stoppuhr aber nicht auf dem Radtacho mitgerechnet werden. Die Totalzeit fürs Radfahren sollte sich da noch als durchaus ernüchternd darstellen…

Die Crew ist vollständig versammelt und hilft mir aus den einen in die anderen Klamotten. Langsam, sehr langsam gehen miene Bewegungen vonstatten, noch langsamer laufe ich nach einem endlos langen Wechsel auf die Strecke. Jemand teilt mir mit, dass ich an 215. Stelle liege. Mir mittlerweile völlig egal. Ich weiß ja schon seit fast 8 Stunden, wo ich stehe.

Das Laufen fällt mir schwerer als 2009. Ich nehme mir vor, die 25km bis Zombie Hill komplett durchzulaufen. Es tut aber weh. Wir haben abgemacht, dass etwa alle 2 km die Crew, mittlerweile nur noch ein großes Team zusammen im Auto, mich mit Verpflegung erwartet. Die Schilder mit der Streckenmarkierung tauchen auf, aber kein Teamauto. Sofort schaltet mein innerer Monolog wieder auf Selbstmitleidmodus. Später finde ich heraus, dass Susanne die Support-Intervalle verlänger hat, um mich durch weniger Pausen in Trab zu halten. Ich hatte nämlich begonnen, die Verpflegungsaufnahme zu ausgiebigen Plauder- und Gehpausen zu missbrauchen. Ich selber finde das völlig legitim. Ich fühle mich vollkommen kraftlos, Beine und Rücken schmerzen. Und dann taucht bei km 8 ein neues Problem auf. Ein auch für mich neues und sehr unangenehmes. Eine eiserne Regel befiehlt, niemals, NIEMALS Ernährungsexperimente in Rennsituationen auszuführen. Niemals neues ausprobieren, niemals im Rennen. Vollkommen dilettantisch, sowas, mach ich natürlich nicht. Ich verlasse mich seit Jahren auf mein Squeezy-Gel, ist ja auch überall dasselbe drin, keine Gefahr. Hab ich gedacht. Um es kurz zu machen: in der neuen Geschmacksrichtung „Tomate“ -durchaus eine Offenbarung, wenn man das ganze süße Zeugs nicht mehr ertragen kann (nach Kalmar 1997 habe ich nachts sogar von den dort gereichten Energikakan geträumt!)- ist offensichtlich nicht dasselbe drin, was mich zusätzlich und sehr plötzlich dazu zwingt, einen sichtgeschützten Waldzugang zu suchen. Gar nicht einfach, wenn man sich auf einer Straße zwischen Berg und See befindet. Auch die so entstehenden insgesamt 3 Zwangspausen kosten Zeit, auf Nahrungsaufnahme verzichte ich ab da. Natürlich ist das nicht vernünftig, aber dieser Weitblick war mir ja schon Stunden vorher abhanden gekommen.


Ein paar Kilometer weiter kommt jemand aufgelaufen, durch die Startnummer ausgewiesen als 96, Alessandra. Wir laufen eine Weile gemeinsam, treiben uns gegenseitig an, stumm und schnaufend, die winzigen Steigungen am Ufer des Tinnsjøen schmerzen. Später, im Rjukantal, plaudern wir ein wenig über die Strecke, die noch von uns liegt, dann kann ich nicht mehr mithalten. Später finde ich heraus, dass Alessandra Perbellini bereits im April den Marathon des Sables durchgestanden hat. Andere Liga eben, kein Wunder also.

Überhaupt drängt sich jetzt immer häufiger der Gedanke in mein Bewusstsein, dass das ganze Vorhaben einfach eine Nummer zu groß für mich ist, und mehr als ein White Shirt für mich eben einfach nicht erreichbar sein könnte. Die genetisch bedingte Obergrenze gewissermaßen. Ich beginne, mich vor der Antwort zu fürchten. Die echte Grenze also, ist sie das?

Mühsam erreiche ich Rjukan und stehe vor Zombie Hill. Uwe und Lukas, Team 1, begleiten mich ab hier, jetzt zu Fuß. Steil ist es, steil und lang. Kehre nach Kehre, niemals endend. Aus fast jedem entgegenkommenden Auto werden wir angefeuert. Zudem habe ich glücklicherweise recht kurzweilige Begleitung, am Ende waren es aber doch 1,5 Stunden, die wir für die 7 km bis zu dem Schicksalstischchen an der Abzweigung zum Gaustablikk benötigen. Ein kurzer Plausch mit der ziemlich durchgefroren aussehenden Tischbesatzung, ein wenig Verpflegung aufgenommen, und weiter, links abbiegend. Werde ich jemals erfahren, wie die Straße nach Stavsro aussieht?


2009 bin ich ab hier wieder gelaufen, nach stundenlangem Marschieren. Heute ist es anders. Ein kurzer Versuch, wie damals an der Seite von Marlene, endet mit den altbekannten Schmerzen. Achillessehne, du bist ja auch noch da! Also beschließen wir, die noch im Rennen befindlichen Konkurrenten zu überwandern. Langsam hebt sich die Laune. 3 x 3,5 km sind zu marschieren jede Menge Zeit zum plaudern. Wir überholen tatsächlich noch einige Athleten, die sich in noch schlechterem Zustand als ich befinden. Zwischendurch recken wir die Fäuste in Richtung Gaustatoppen und beschimpfen ihn, der da, obgleich im Sonnenuntergang theatralisch beleuchtet, gelangweilt und missgünstig auf uns herabsieht.

Es wird dunkel und kalt. Die Athleten auf der Strecke reduzieren sich auf Lichtpunkte, die aus dem Wald auftauchen, im Näherkommen erst zu Schatten, dann zu Grüppchen von wirklichen Menschen werden und im Augenwinkel wieder verschwinden. Bis zum Wiedersehen in der nächsten Runde. Schließlich erreichen wir den letzten Wendepunkt, an dem sich die einsame Besatzung verloren am offenen Feuer wärmt. Ich bin mir nicht sicher, wer von uns mehr Mitleid verdient hat. Die Crew nimmt allerhand auf sich, um uns dieses vollständig wahnwitzige Rennen zu ermöglichen.


Einen guten Kilometer vor dem Ziel taucht Uwe aus dem Dunkel auf und trägt die schnell zusammengebastelte Pirate-Fahne, die wir eigentlich auf dem Gipfel hatten hissen wollen. Damit wird das letzte Stück zum Triumphmarsch, zu viert rücken wir zum Zielbogen am stockdunklen Parkplatz des Gaustablikk vor, Susanne 1 und 2 warten schon. Nach 18:53h überquere ich dann endlich die Ziellinie des schwersten, physisch und mental erschöpfendsten Ironman meines Lebens. Auf dem Weg zurück nach Austbygde zum Campingplatz, natürlich nicht ohne vorher den Versuch eines Zielfotos unternommen zu haben, rede ich vor Müdigkeit nur noch Unsinn und schlafe jedes Mal ein, wenn niemand mich anspricht.

Nun ist es mehr als sieben Wochen her, dass ich auf der Hardangervidda und vielmehr noch am Immingfjell fast verzweifelt wäre. Verzweifelt am Wetter, an der grausamen Strecke, an mir selbst. Natürlich bleiben Fragen: Habe ich falsch trainiert? Habe ich zu wenig trainiert? Habe ich überhaupt eine Chance, jemals auf den Gaustatoppen zu kommen und ein Black Shirt zu erringen? Ist das einfach nicht meine Liga?
Susanne, Coach MB_A und ich kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ich hoffe einfach mal, dass meins das richtigere ist, allein, weil ich von uns der Einzige bin, der mich von innen kennt. Mein Ergebnis ähnelt nämlich inhaltlich stark Jørgen Melaus Prophezeiung vom Tag danach: „I think, you will come back.“


Ich werde noch einen Versuch starten. Einen einzigen. Wann, liegt nicht in meiner Hand. Dieses entsetzliche, grausame, herzbrechende Rennen ist einfach zu schön, um nicht wieder zu kommen.


P.S.
Und noch etwas: Am Rande der Siegerehrung kann ich kurz mit Susanne 3, der Rekordsiegerin Susanne Buckenlei, plaudern. Viel später fällt mir auf, dass ich ihr dabei gar nicht zu Sieg und Rekord gratuliert habe. Das tut mir leid und soll hier nachgeholt werden: Herzlichen Glückwunsch, Susanne.

P.P.S.
Und NATÜRLICH Dank an Susanne 1 und 2. Und Marlene, Lukas und Uwe. Ohne Euch hätte ich das nicht überstanden.