Sonntag, 11. August 2013

The Day After, auf dem Dach der Welt - Teil 1

„Is it getting better, or do you feel the same?“
(U2, “One”)


Es wird wohl ein schwieriges Verhältnis bleiben, was wir da haben, der Norseman und ich. Erkenntnisse genug habe ich gewonnen, um alles einordnen zu können und die Beziehung nun zu beenden, aber so einfach scheint das nicht zu sein. Ich hatte versprochen, einen dritten und letzten Versuch zu unternehmen, das Schwarze T-Shirt für die Besteigung des Gaustatoppen zu erringen. Im Falle des Nichtgelingens würde ich, so der Plan, akzeptieren, dass dieses Rennen zu groß für mich ist und mich mit drei weißen Shirts fortan zufrieden geben. Kann man sich schön zurechtlegen, natürlich. Im Kopf. Es funktioniert aber nicht alles mit dem Kopf.

Wir spulen zurück, es ist Sonntag, 04. August 2013.
Mit meiner Supportcrew, Susanne und Lukas stehe ich nach zweieinhalbstündigem Aufstieg mit schmerzenden Beinen und unendlich müde auf dem Gaustatoppen. Sonntag, richtig, der Tag nach dem Rennen. Ich habe gestern ein drittes Mal die Cutoff-Zeit verpasst und auf der White-Shirt-Strecke gefinisht. 18:25 Stunden hat das gedauert, keine Minute schneller kann ich mir vorstellen, wenn mir ich die einzelnen Phasen des Wettkampfes ins Gedächtnis rufe. Wie hätte ich also das hier schaffen sollen, angenommen, ich hätte das Tischchen des Schicksals, den Checkpoint bei km 32,5 der Laufstrecke, den Punkt, an dem zwischen Schwarz und Weiß entschieden wird, nur anderthalb Stunden früher erreicht? In welchem Zustand hätte ich mich befunden, dass ich das hier hätte bewältigen sollen? Für diese Erkenntnis sind wir am Tag danach doch noch hergekommen, haben versucht, das Trauma, genau genommen mein Trauma, nie hier gewesen zu sein, zu bewältigen. Die Wahrheit kann schmerzhaft sein: Um den Rest der Black-Shirt-Strecke nach km 32,5 zu überstehen, braucht es deutlich mehr, als irgendwie beim Checkpoint anzukommen. Unter den Umständen tut schon die weiße Strecke weh. Nein, hier ist mehr gefragt, viel mehr wahrscheinlich als ich jemals geben können werde. Tragisch wird die Sache erst dadurch, dass zwischen der Erkenntnis und deren Akzeptanz keine logische Verknüpfung bestehen muss. Womit wir wieder am Anfang stehen: es funktioniert nicht alles mit dem Kopf.

Wir spulen einen weiteren Tag zurück, Samstag, 03. August 2013, Renntag, gegen halb sieben morgens.
Nach 1:23h eigener Messung bin ich schon an Land, 800 Meter vorher war ich noch in Sorge, der Letzte im Wasser zu sein. Auch mit den später offiziellen 1:27h ist das eine meiner besten Schwimmzeiten auf der Strecke. Der Tag hat also gut angefangen. Vorher schon, so um halb drei, hatte ich mit einiger Zufriedenheit festgestellt, dass die grauenhafte Wetterprognose nicht oder zumindest nicht in vollem Umfang wahr geworden ist. Ein milder Morgen, soweit richtig, aber der den ganzen Tag andauernde Sturzregen war bislang ausgeblieben. Nach entspanntem Einchecken stellte sich die Fahrt mit der Fähre hinaus in die Dunkelheit als recht kurzweilig heraus, Lukas hatte noch am Tag zuvor von der Rennleitung die Erlaubnis bekommen, als Fotograf mit an Bord zu gehen. So stand ich also um 10 Minuten von fünf unter der geöffneten Bugklappe, mit heftigem Herzklopfen bereit, ins Schwarze zu springen. Dann ging alles schnell. Bevor ich realisieren konnte, dass ich gesprungen war, musste ich mich schon zurück hoch an die Wasseroberfläche strampeln und dann schnell meinen Weg zur Startlinie suchen, die durch eine Reihe Kajaks definiert wird. Gerade dort angekommen, hatte ich schon durch Wasser, Neoprenhaube und Schwimmkappe gedämpft, aber doch unüberhörbar, das Startsignal des Schiffshorns gehört und war einfach drauf los geschwommen, immer bemüht, dieses Mal eine sinnvolle Orientierung zu finden und möglichst geringe Umwege im offenen Wasser und der Morgendämmerung zu schwimmen. Scheint funktioniert zu haben, wie gesagt, ich bin mit mir und dem bisherigen Rennverlauf mehr als zufrieden.
Der Wechsel ist wieder einmal mühselig und zeitraubend, die vielen Kälteschutzschichten fordern Ihren Tribut. Außerdem weiß ich nicht, was ich alles anziehen soll, kann weder Wetter noch aktuelle Temperatur einschätzen. In diesem Zustand, in T1, der ersten Wechselzone, ist man froh, Oben von Unten unterscheiden zu können. Also halte ich mich viel zu lange mit dem Wechsel auf und mache mich schließlich, davon unbeeindruckt und guter Dinge, mit dem Rad auf in den Rest des Tages. Wie lang der werden würde, ahne ich noch nicht.

Fortsetzung folgt...